Jerzy Kubicki

Geboren 1925 in Warschau
Arbeitete als Chauffeur in Warschau
Gestorben 1986 in Zielonka bei Warschau

Jerzy Kubicki schrieb 1950 für seine Angehörigen seine Erinnerungen an die KZ-Zeit in ein Heft, das er "Tagebuch" nannte. Er schrieb selbst den Text für uns ab. Es ist eine der anschaulichsten und frühesten Quellen, die wir besitzen.

Der Text beginnt mit einem Rückblick auf die Deportation aus dem zerstörten Warschau, der im Augenblick der Ankunft im Konzentrationslager Dachau in die dem Tagebuch angemessene Erzählzeit der Gegenwart umschaltet.


Tagebuch

Aufzeichnung Jerzy Kubicki, 1950:

Zwei Tage haben sie uns in der Halle Nr. 6 in Pruszkow gefangen gehalten, in der vorher Waggons repariert worden waren. Wir haben dort gehungert, wir bekamen zwar zweimal täglich eine warme Suppe, aber es war sehr schwierig, zu der Suppe und der dazu ausgegebenen Fleischkonserve zu kommen. Wir mussten Schlange stehen und bis wir drankamen gab es meist nichts mehr. Noch schlimmer war, dass wir kein Gefäß hatten, um die Suppe entgegennehmen zu können.

Es wurden immer mehr Menschen in die Halle gebracht, bald herrschte ein großes Gedränge. Am dritten Tag haben sie die Halle geöffnet und uns zu einem wartenden Zug geführt, uns eingeladen und die Türen mit Draht verschlossen. An den Waggons war nur oben ein kleines Guckfenster. Alles wurde mit Draht verschlossen und verrammelt und der Zug fuhr ins Unbekannte.

Ich habe mich in der Nähe meines Onkels Janek gehalten, wir haben uns schließlich an die Wand des Waggons gesetzt und die anderen schweigend angesehen. Es waren alles Männer verschiedenen Alters aus unterschiedlichen sozialen Schichten.

So sind wir drei Tage lang gefahren. Langsam kam der Hunger, wir litten unter der Kälte. Einmal tagsüber hat der Zug gehalten. Das war mitten auf freiem Feld. Nun hat man nicht alle Waggons, sondern nur etwa jeden zweiten geöffnet und die Gefangenen herausgelassen, damit sie austreten und sich bewegen konnten. Dann wurden wir gezählt, mussten in den Waggon zurück und der Zug fuhr weiter. Nachts blieb der Zug einmal auf einem Bahnhof stehen. Da hat ein älterer Deutscher (auf dem Bahnsteig) gefragt, was sie in den Waggons hätten. Man hat ihm geantwortet: "Das sind die Warschauer Banditen!" Einer von uns hat das Gespräch gehört und hat mitgekriegt, dass sie uns in ein Konzentrationslager fahren. Später haben wir das dem deutschen Wachmann gesagt. Aber der hat das abgestritten. Er müsste sich verhört haben, er wisse von nichts, er habe so etwas nicht gesagt, das sei eine Lüge. Er sagte, dass sie uns zur Arbeit fahren würden, dass wir Straßengräben ausheben müssten. Keiner hat vermutet, dass uns etwas weit Schrecklicheres bevorstand.

In der Nacht zum 13. September hat der Zug gehalten. Man hat gemerkt, dass sie uns abkuppelten, die Lokomotive ist weitergefahren, die Waggons blieben stehen. Von weitem hat man das Geräusch marschierender Stiefel gehört und Hundegebell. Einer, der unter dem kleinen Fenster saß, wurde von den anderen hochgehoben, um zu schauen, was sich da draußen tat. Er hat gesehen, dass SS-Männer mit Hunden herummarschiert sind, dass alles mit Scheinwerfern hell beleuchtet war. Von weitem hat er den Stationsnamen Dachau lesen können. So kamen wir nach Dachau. Jetzt wusste jeder von uns, wo wir gelandet waren und was das bedeutete.

Nach einer kurzen Unterhaltung der Stimmen draußen wurden die Waggons geöffnet, unter Geschrei und Schlägen wurden wir herausgetrieben. Es musste sehr schnell gehen und wir mussten uns sofort so aufstellen, wie man es uns befahl. Sie haben die Hunde auf uns losgelassen, die uns an den Kleidern gezerrt und manches Kleidungsstück zerrissen haben. Einige wurden auch gebissen. Es gab ein Geschrei, das in der Stille der Nacht noch erschreckender wirkte.

So sind wir in Zweierreihen ins Lager Dachau marschiert. Wir kamen in Baracken, die mit Stacheldraht umzäunt waren, und erhielten Holzschuhe.

Erst am nächsten Morgen entdeckten wir, dass es auch Schornsteine gab, denen ein schwarzer Rauch entströmte. Da konnte man hinaus in die Freiheit, es gab aber nur den Weg durch die Schornsteine.

Unter Schlägen und Prügel haben sie uns zu einem großen Eisentor getrieben, auf dem ein Schriftzug stand: "Arbeit macht frei". Das entsprach nicht der Wahrheit, denn Freiheit bedeutete bei ihnen Tod. Auf der rechten Straßenseite stand eine Baracke, in der die Verwaltung untergebracht war. Auf der linken Seite stand der Wachturm. Am Wachturm haben mehrere SS-Leute gestanden mit Peitschen und anderen Gegenständen in den Händen, womit sie uns bei den kleinsten Anlässen geprügelt haben. Wer beispielsweise zu langsam die Treppe hinaufgestolpert ist, hat gleich Schläge bekommen. Die Offiziere haben nichts gemacht, nur die SS-Leute.

Den Rest der Nacht haben wir auf einem großen Platz verbracht. Dort haben wir uns zusammengedrängt, weil es kalt war. Hungrig waren wir auch, und weil wir gewusst haben, was Dachau bedeutet, waren wir auch niedergeschlagen.

Am nächsten Morgen hörte man schon in der Ferne Befehle und sah Wagen vorbeiziehen, vor die statt Pferde Menschen gespannt waren. Sie waren ausgemergelt, neben ihnen gingen Männer. Es waren Kapos, wie wir erfuhren, die sie durch Schläge anspornten, wenn sie nicht schnell genug zogen.

Dann haben sich ziemlich lange Reihen von Gefangenen gebildet, die mussten wie beim Militär strammstehen, die Mützen vom Kopf herunter. Befehle wurden gegeben wie "Augen rechts! Augen links!", so wie es bei einem Morgenappell auf dem Kasernenhof zugeht. Die Befehle kamen von einem SS-Mann, dem Rapportführer, der dann auch alle notiert hat. Das hat sich alles auf dem großen Appellplatz neben uns abgespielt.

Wir befanden uns vorläufig in Quarantäne, erst nachdem die beendet war, haben wir jeden Morgen an diesem Appell teilnehmen müssen. Bis dahin mussten wir in den Baracken bleiben oder je nach Laune der SS auch vor die Baracken gehen.

Uns wurde jeden Tag klarer, was uns in diesem Lager Dachau erwartete. Heimlich hat man versucht, wertvolle Sachen, die man noch besaß, hinaus zu schmuggeln zu Bekannten außerhalb der Quarantäne, die vielleicht entlassen werden sollten, oder man hat sie vergraben, oder man hat sie freiwillig abgegeben, da man uns dafür bessere Verpflegung zugesagt hatte. Das wurde dann aufgeschrieben und notiert. Wir haben dabei auch eine KZ-Nummer erhalten. Von dem Zeitpunkt an waren wir dann keine Menschen mehr. Wir wurden wie Vieh behandelt, wurden nur noch nach der Nummer genannt. Man wusste bald nicht mehr voneinander, wie man heißt, hat fast den eigenen Namen vergessen und den Namen der Kameraden.

Als die Nummern ausgegeben wurden, mussten wir an einem Tisch vorbei, an dem mehrere Schreiber saßen. Ich habe aufgepasst, dass ich mich hinter Onkel Janek hielt, so erhielt er die Nummer 106541 und ich die Nummer 106542. Diese Nummern haben wir uns an der Jacke befestigen müssen mit dem "Winkel", dem Zeichen dafür, ob man ein politischer Häftling ist oder ein anderer. Nachdem unsere ganze Habe, die wir abgeben mussten, notiert worden war, wurden wir in den Waschraum getrieben.

Vor dem Waschraum mussten wir uns ausziehen und unsere Kleider und Gegenstände auf einen Haufen legen. Sie rasierten uns die Haare und rieben die Haut mit einer brennenden Flüssigkeit ein. Alle diese Tätigkeiten führten Häftlinge durch, die speziell für diese Aufgaben ausgesucht worden waren.

Es ist November [eig. September] und auf den Dächern und Beeten liegt Reif, und wir stehen nackt draußen, zittern vor Kälte und warten auf Einlass in den Waschraum. Endlich kommen wir dran. Sie lassen uns zu zehnt hinein. Eng zusammengedrängt stehen wir unter den Duschen, aus denen nach einer Weile heißes Wasser fließt. Schreie und Durcheinander, man kann sich vor dem heißen Wasser nicht schützen, das Wasser brennt auf dem ausgekühlten Körper, Angstschreie dringen nach außen - es antwortet ein Lachen.

Nach einer Weile lassen sie nicht mehr heißes, sondern kaltes Wasser laufen, und das wiederholen sie einige Male, einmal heißes, einmal kaltes Wasser, endlich meinen sie, dass wir genug haben und drehen das Wasser ab; wir verlassen den Waschraum, halb ohnmächtig und nass, stehen wieder draußen und warten auf die Zuteilung der Kleider. Sie geben uns Wäsche und Kleider: kurze Unterhosen, Hemd, Jacke und graue lange gestreifte Hosen und eine Mütze. Wir zogen uns schnell an, denn wir waren ja nass und uns war sehr kalt. Obwohl ich nicht sehr groß bin, bekam ich alles zu klein: Die Hosen reichten mir kaum bis zu den Knöcheln, die Ärmel der Jacke waren auch zu kurz - andere sahen noch schlimmer aus. Mein Onkel und ich schauen uns gegenseitig an und die Tränen schießen uns in die Augen. "O Gott, wie sehen wir aus!" "Wenn uns jetzt jemand von unseren Verwandten sehen würde, der würde uns vielleicht nicht mehr erkennen!" sagte mein Onkel, vor Kälte zitternd, zu mir. Wir trösten uns damit, dass der Krieg vielleicht bald zu Ende sein wird und dass wir es aushalten müssen, aushalten, obwohl wir im Inneren der Seele selbst nicht daran glauben, was wir sagen. Denn wie soll man es hier aushalten in so einer Hölle, und außerdem ist es erst der Anfang, das Schlimmste soll noch folgen. Nach dem Ankleiden, wenn man das überhaupt so nennen kann, führten sie uns in Baracken, genannt Blocks.

Ich gehe und sehe mich im Lager um. Sie führen uns eine lange breite, mit Pappeln bepflanzte Allee entlang; auf beiden Seiten der Allee stehen Blocks, Holzbaracken, eine von der anderen durch Stacheldraht abgegrenzt. Sie bringen uns in den Block Nr. 23, eine lange Holzbaracke mit zwei Eingängen, durch die man auf beiden Seiten der sog. Stube herausgehen kann. In jeder Stube ist in der Mitte ein Durchgang, und auf beiden Seiten des Ganges stehen dreistöckige Holzpritschen ohne Decken, ohne Matratzen, nackte Bretter. Wir durchleben zwei Wochen Quarantäne, während der wir keinen Kontakt zu anderen Gefangenen haben, und wir verbringen die Zeit in furchtbaren Verhältnissen, angeblich sollen wir nach der Quarantäne Decken und Strohmatratzen erhalten.

Im gegenüberliegenden Block gibt es einen sog. Blockältesten. Die Bewohner dieses Blocks sind überwiegend deutsche Kriminelle, die hier schon einige Jahre sitzen und ihr Fach gut verstehen. Jeder Aufpasser hat zu seiner Hilfe einen Stubenältesten, der Brot, Suppe und "Kaffee" verteilt und immer für sich eine bessere und größere Portion wegnimmt. Die Stubengehilfen jagten uns zum Schrubben von Böden, zum Kehren, zum Putzen von Toiletten, ohne an Gebrüll und Tritten zu sparen. Tagsüber dürfen wir die Baracken nicht betreten, sie lassen uns den ganzen Tag draußen, wir sind hungrig und halb erfroren, wir drängen uns aneinander und stellen uns mit dem Rücken zueinander, um uns etwas zu wärmen. Endlich ist es Abend und sie lassen uns in die Baracken hinein, wir legen uns zu zweit schlafen auf eine Pritsche. Wir bemühen uns, einzuschlafen oder aufzuwachen: "Es ist vielleicht nur ein Alptraum: Vielleicht träumen wir das alles nur und wachen dann im Kreis unserer Angehörigen auf..." Nein, es ist die bittere Wirklichkeit.

Ich weiß nicht, wann ich dann eingeschlafen bin. Es weckte mich der Schrei des Aufpassers: Appell! Wir rennen schnell alle hinaus. Wir springen von den Pritschen, drängeln an der Türe und treten vor die Baracke. Draußen ist es noch dunkel, obwohl im ganzen Lager schon Betrieb herrscht, überall hört man Geschrei und Befehle.

Wir stellen uns in Fünferreihen auf, der Wachmann ruft uns nach den Nummern auf, zählt, kontrolliert, regt sich auf, denn die Zahl des Blocks stimmt nicht, es fehlen drei. Stubenälteste stürmen in die Baracken, suchen, nach einiger Zeit kommen sie heraus und ziehen drei Tote hinter sich her und werfen sie neben die Baracke.

Ihnen brachte schon die erste Nacht im Lager Ruhe und Erlösung, morgen schon kommen sie in die Freiheit - durch den Kamin des Krematoriums, in Form von Rauch verteilen sie sich über die Welt und ihre Asche düngt den Boden der Lagerplantagen.

Nun stimmt die Zahl, der Blockälteste ist zufrieden, es ist alles in Ordnung. Es hagelt Kommandos: "Stillgestanden!" "Mützen ab!" "Augen links!" Es nähert sich der Rapportführer der SS. Der Blockälteste läuft ihm entgegen, steht still, zieht die Mütze herunter und erstattet Bericht. Der SS-Mann nimmt den Bericht entgegen, ist deutlich unzufrieden, langsam schreitet er an den erstarrten Gesichtern der Gefangenen vorbei. Stille, ich höre das Hämmern meines entsetzten Herzens. Nur die Schritte des SS-Mannes stören die Stille und seine Augen, Augen wie zwei schreckliche ... sie bohren sich in jeden von uns und fixieren ihre Beute. Immer wieder bleibt er stehen und deutet mit seiner behandschuhten Hand dem Blockältesten wieder auf einen neuen Unglücklichen, er sucht die "Muselmänner" aus. Das sind die, die schlecht aussehen, die krank sind oder einfach die, die er als krank ansieht, die vernichtet werden müssen.

Die nimmt der Blockälteste und Kapo sofort aus der Reihe heraus, stellt sie auf und führt sie in die Gaskammer ab, der Rapportführer streicht sie von der Liste, und das geschieht jeden Tag.

Ende des Morgenappells, der SS-Mann geht, die "Muselmänner" sind weg und wir leben noch. In die Baracken dürfen wir während des Tages nicht hineingehen, ganze Tage verbringen wir vor den Baracken ohne Rücksicht auf das Wetter, und die Tage werden immer kälter. Jeden Tag morgens ziehen sie aus den Baracken einige Unglückliche heraus, lassen sie draußen ausziehen, binden ihnen ein Stück Papier mit der Nummer, die sie hatten, ans Bein. Zum Einsammeln der Unglücklichen gibt es ein besonderes Kommando, sie fahren mit zweirädrigen Karren und sammeln die Toten ein und bringen sie zum Krematorium, dessen Schornsteine Tag und Nacht qualmen.

Durch die Stacheldrahtzäune beobachten wir das Lager. Hinter den Baracken verläuft ein Weg, der das ganze Lager einschließt, hinter diesem Weg ist ein breiter Rasen, der von Gräbern durchzogen ist, dahinter ein Betongraben mit Wasser gefüllt, am Rand dieses Grabens ein Stacheldrahtzaun. Die Drähte sind auf Isolatoren aufgezogen, Hochspannung, Berührung ist tödlich! Hinter diesem Stacheldrahtzaun ist ein schmaler Weg, auf dem Patrouillen der SS-Männer mit Hunden kreisen. Hinter diesem Weg liegt eine kleine Betonmauer, die mit Stacheldraht, der unter Strom steht, bezogen ist. Auf der Mauer alle paar Meter ein Scheinwerfer, der die ganze Nacht leuchtet. In größeren Abständen wächst aus der Mauer ein hoher Turm heraus, aus dem in alle vier Himmelsrichtungen der Lauf eines Maschinengewehrs herausragt. Auf den Türmen halten Tag und Nacht SS-Männer Wache, in der Nacht suchen sie mit Scheinwerfern die Gegend ab. An ein Entkommen aus dem Lager ist gar nicht zu denken.

Sie halten uns schon zwei Wochen in Quarantäne im Block Nr. 23. Es gehen Gerüchte um, dass sie uns zur Arbeit schicken wollen. Mein Onkel und ich sprachen uns ab, dass wir uns freiwillig melden würden, wenn sie Leute zum Arbeiten aufrufen sollten. Vielleicht würde man während der Arbeit den Hunger besser ertragen, und die Zeit würde schneller vergehen. Tatsächlich kommen sie ein paar Tage später und notieren sich die Facharbeiter. Sie suchen Dreher, Fräser, Schlosser, Automechaniker und Fahrer aus. Mein Onkel und ich melden uns. Ich habe zwar noch keinen Beruf, gebe mich aber als Schlosser aus, wir werden aufgeschrieben, und nach zwei Tagen beim Morgenappell werden unsere Nummern aufgerufen. Wir stellen uns in Reihen auf, wir sind über 1.000 Mann, genauer 1.060 Gefangene.

Sie führen uns an einen Bahnsteig, wir steigen in Güterwägen ein, die Tür wird geschlossen und nach einiger Zeit setzt sich der Zug in Bewegung, wir fahren ins Ungewisse, neuen Überraschungen entgegen.


Ankunft Mannheim-Waldhof (27.09.1944)

Der Güterzug fährt sehr langsam, wir stehen oft stundenlang auf einem Abstellgleis. Am dritten Tag gegen Mittag hat der Zug gehalten, irgendwo an einer unbekannten Station. Wir waren da. Es kommt ein SS-Mann und öffnet die Türen aller Waggons. Wir müssen uns in einer Marschordnung zu fünf Mann aufstellen. Die Begleitmannschaft geht mit uns durch die Stadt. Nicht weit vom Bahnhof haben wir ein Schild gesehen mit der Aufschrift Mannheim. Das ist eine große Industriestadt am Rhein. Wir gehen dann die ganze Zeit auf dem Damm neben dem Rhein her; ein Wald von Fabrikschornsteinen, die Luft ist trübe von diesen Fabriken, chemische Fabriken.

Endlich kommen wir zu dem Ort, wo wir hingebracht werden sollen. Wir kommen durch ein Tor, an das sich beidseitig ein Zaun anschließt. Dahinter steht ein großes zweistöckiges Gebäude. Am Zaun haben wir frisch gezogenen Stacheldraht gesehen und neu erstellte Wachhäuschen. Hinter uns schließt sich das Tor des neuen Lagers.

Wir sind auf einem großen asphaltierten Hof. Jetzt kommen neue SS-Männer, die zählen, kontrollieren, schreien und schlagen. Und gleich hören wir, wie die Sirene einen Luftalarm gibt. Wir müssen uns auf den Boden legen und dürfen uns nicht bewegen. Flugzeuge fliegen sehr hoch, wir hören sie fast nicht. Aber wir wussten, dass wir nicht mehr weit von der Front entfernt waren. Vielleicht war der Tag der Freiheit nicht mehr weit. Diese Hoffnung ist in unseren Herzen. Die Flugzeuge sind fort, der Alarm ist zu Ende. Wir müssen uns wieder in Fünferreihen aufstellen.

Die SS-Leute treiben mit uns ein Spiel: Wir müssen für sie marschieren wie Soldaten. Ein SS-Mann schlägt zu, schreit, tritt mit dem Fuß, droht mit der Pistole. Nachdem das zu Ende ist, müssen wir uns eine Matratze machen, indem wir Stroh in einen Sack füllen, und uns auf die "Stuben" aufteilen. Wie bisher immer, halte ich mich auch jetzt neben meinem Onkel, wir liegen Kopf an Kopf nebeneinander in den Pritschen, hungrig, müde, voller Flöhe, die uns piesacken. [...]

Am zweiten Tag nach der Ankunft in Sandhofen nach dem Morgenappell umgeben sie uns mit einer Bewachungsgruppe und führen uns zur Arbeit. Wir marschieren durch die Stadt. Bis zur Fabrik, in der wir arbeiten sollen, ist es weit, ungefähr 6 km. Wir schleppen uns dahin in einem langen Zug, mit den Holzschuhen klappernd; neugierig betrachten uns die Einwohner der Stadt, ihre Reaktion ist unterschiedlich, manche lachen über uns, andere drehen sich um, um ihre Betroffenheit zu verbergen.

Ausgehungerte Menschengestalten in schmutzigen blau-grau gestreiften Kleidern mit bloßen aufgeriebenen Füßen, an denen Fetzen von Papier oder irgendwelchen Lumpen hängen, die wir irgendwo gefunden haben. Wir sehen schrecklich aus.

An der Seite hingen an Drähten oder Schnüren die Blechschüsseln, aus denen wir unsere täglichen Mahlzeiten einnehmen. Im Gehen schaut jeder von uns auf den Boden, ob nicht irgendwo eine Zigaretten- oder Zigarrenkippe liegt. Es ist ein kleines Wagnis für uns, besonders weil das Aufheben sehr risikoreich ist, denn wenn es ein SS-Mann sehen würde, würde er uns verprügeln und man müsste die Kippe wegwerfen. Auch mein Onkel und ich sammeln diese Kippen, obwohl wir nicht rauchen. Ein paar von diesen Kippen reichen für eine "Gedrehte", das sind aus Zeitungspapier gedrehte Zigaretten, und für vier "Gedrehte" kann man von den Rauchern eine Portion Brot bekommen. Unverantwortlich sind die Menschen, sie geben ihr letztes Stück Brot ab, das sie kaum am Leben erhält, für ein paar Züge Rauch, der ihnen doch nur schadet.

Wir nähern uns der Fabrik, in der wir arbeiten sollen. Es ist eine große Autofabrik, Daimler-Benz. Die SS-Männer umstellen die Werkhallen, in denen wir arbeiten sollen, dann führen uns deutsche Zivilisten an unsere Plätze und zeigen uns unsere Arbeit. Mein Onkel und ich werden dem dritten Montageband zugeteilt, auf dem man Lastwagen montiert, die für Truppentransporte bestimmt sind.

An diesem Band arbeiten Zivilfranzosen, sie sollen uns zeigen, was wir tun müssen, und dann werden sie andere Arbeiten verrichten. Zu meiner Tätigkeit gehören die Montage und der Anschluss von Scheinwerfern, der Anschluss der Hupe, das Anbringen der Behälter für die Gewehre und Benzinkanister.

Ich muss das alles in einem bestimmten Bereich und in einer besttimmten Zeit machen, denn das Band ist ständig in Bewegung. Das bedeutet viel Arbeit, sogar für einen normal lebenden und gesunden Menschen. Onkel Janek arbeitet ein paar Meter weiter, er montiert den Kühler auf den Motor.

Den deutschen und französischen Zivilarbeitern ist es streng verboten, mit uns zu reden. Vor Beginn der Arbeit sagten sie uns, dass Stehlen, Kontakt mit der Zivilbevölkerung und Faulenzen während der Arbeit vor ein strenges Gericht kämen und mit dem Tod bestraft würden, ebenso der Versuch zu fliehen.

Wir arbeiten in der Fabrik in zwei Schichten, 10 bis 12 Stunden pro Schicht, so vergehen die Tage und Wochen. Der Herbst geht zu Ende, der Winter naht. Der erste Schnee ist gefallen, der erste Schneefall war im Spätjahr im November (10. nachts, 13., 14. und mit einer geringen Schneedecke (6 mm) am 29.11., nach nächtlichem Schneefall). Eine geschlossene Schneedecke gibt es erst vom 3.1.45 an. In den steifen Holzschuhen kann man nicht laufen, der Schnee klebt am Holz, wir rutschen und fallen auf der Straße hin, das Marschtempo der Kolonne sinkt. Es folgen Arbeitstage, an denen wir erleben, wie uns Führungspersonen der Fabrik einen Zug besorgen, der aus einigen Wägen besteht, und den sie auf einem Nebengleis in Sandhofen abstellen. Mit diesem Zug fahren sie uns morgens zur Arbeit, zurück müssen wir allerdings gehen.

Mit dem Einbruch der Kälte beginnen die Krankheiten, die Menschen fangen an dick zu werden, und wessen Körper anzuschwellen beginnt, von dem ist dann klar, dass er wohl nicht mehr lange leben wird, und es werden immer mehr von diesen Armen. Während weniger Tage werden sie unwahrscheinlich dick - das ist das Ende. Die zweite uns quälende Krankheit sind Geschwulste. Mir fallen sie sehr zur Last, ich habe gleich ein paar von ihnen und zwar meistens am Hals. Es gibt keine ärztliche Betreuung, nur einen französischen Sanitäter, auch ein Häftling, der aus Natzweiler kommt [wahrscheinlich Andreas Barhart].

Er behandelt alle Krankheiten. Er hat dazu auch eine Apotheke, in der außer Aspirin und Papierbandagen nicht mehr viel drin ist. Er hat noch einen Helfer mit dem Namen Szymanski. Jeden Tag behandelt er Kranke, die von den Blockältesten geschickt werden, bei denen man sich melden muss. Er behandelt seine Patienten sehr flüchtig, so dass einer, der einmal dort war, kein zweites Mal hingeht, weil er weiß, dass er dort keine Hilfe erwarten kann.

Auch ich bin mit meinen Geschwulsten zu ihm hingegangen, damit er mir hilft. Er sah sich meine Geschwulste an, nahm eine Schere - ich dachte, er will mir ein paar Haare am Hals wegschneiden - und schnitt die ganze Spitze der Geschwulste ab, so dass mir Eiter und Blut über den Hals liefen. Mir wurde schwarz vor den Augen und ich fiel vom Stuhl. Er übergoss mich mit Wasser und gab mir ein paar Tritte zum Aufwachen, bestreute die offene Wunde mit einem gelben Pulver, sein Helfer verband mir den Hals mit einer Papierbinde. So endete meine Behandlung bei diesem Arzt.

Die Wunden heilen sehr langsam, der Papierverband reißt in Stücke und bringt die nackten Wunden zum Vorschein, aus denen Blut und Wasser tropft; es tut schrecklich weh und ganz besonders als mir ein SS-Mann auf den Kopf haut. Wozu lebt der Mensch eigentlich noch, nur um immer wieder Qualen zu ertragen? Manchmal kommen solche Gedanken, ob man sich das Leben nehmen soll oder flüchten und erschossen werden durch einen SS-Mann. Denn das, was wir durchmachen, überschreitet die Grenzen menschlichen Durchhaltevermögens. Doch irgendwas ist da, das uns befiehlt weiterzuleben in der Hoffnung, dass einmal die Stunde der Freiheit schlagen wird. Das ist die Gnade Gottes, zu dem ich heiß bete, wenn ich im Lager auf meiner Pritsche liege. Die Hoffnung wird durch die Fliegerangriffe der Alliierten genährt, die den Krieg schneller beenden könnten. Nun sitzen wir mehrere Stunden in den Unterständen unter der Fabrik. Die Flugzeuge bombardieren auch die Stadt und die Fabrik, in der wir arbeiten. Eine Fabrikhalle ist schon völlig zerstört, die Produktion der Autos geht spürbar zurück, fast jeden Tag haben wir eine Arbeitsunterbrechung. Wir haben vor den Flugzeugen keine Angst. Schlimmer ist ein Angriff während der Nacht, denn die SS lässt uns dann nicht schlafen, sie jagen uns in einen Schutzraum unter dem Lagergebäude, in dem wir stehen müssen. Eines Nachts gibt es einen Angriff auf Mannheim, ringsum sieht man Brände, die auch am nächsten Morgen noch rauchen, als wir zur Arbeit gehen [möglicherweise am 21.11.1944]. Man sieht einige Ruinen, an einigen Stellen wird noch zu bergen und löschen versucht.

Es beginnt nun schon die zweite Dezemberhälfte; seit dem Tag, an dem wir aus Dachau kamen, tragen wir immer noch dieselbe Wäsche, und von meinem Unterhemd blieben nur der Kragen und die Knopfleiste übrig, alles andere ist auseinander gefallen. Es ist schon sehr kalt, der Frost erreicht minus 15 Grad, vermutlich ist dieser Winter besonders kalt; in diesem Teil Deutschlands sind die Winter sonst eher mild. [Hierin täuscht sich Kubicki, die Temperaturen waren nicht außergewöhnlich.]

Wir sammeln Papier, Lumpen und wickeln sie uns um den Körper unter der Kleidung: Wir versuchen uns irgendwie vor der Kälte zu schützen. Die SS-Männer merken das, und ab und zu machen sie nach der Ankunft im Lager Körperkontrollen. Wehe dem, bei dem sie etwas finden. Eines Tages, bei so einer Durchsuchung, fand ein SS-Mann bei mir einen solchen Lumpen, den ich mir umgebunden hatte. Den Lumpen musste ich herunternehmen und wegwerfen, und er hat mich dafür so geschlagen, dass ich es nie vergessen werde.

Unser Körper ist nun völlig erschöpft, die Fingernägel wachsen nicht mehr, auch der Bart nicht; die Zähne beginnen zu wackeln; unsere Fähigkeit zur Krankheitsabwehr schwindet, wir werden anfällig für alles. Essen - der einzige Wunsch, vor dem Tod sich noch einmal richtig satt essen können!

Irgendwann Mitte Dezember, als wir gerade von der Arbeit heimkamen, warnten die Sirenen vor einem Fliegerangriff. Kaum haben wir den Schulhof betreten, werden wir in die Unterstände unter dem Schulgebäude gebracht. Wir gehen nicht gerne da hinunter und schauen uns nach dem Hof um, wo schon das Abendessen in den Kesseln stand. [...] Angriff auf Mannheim, man hört das Krachen der explodierenden Bomben ganz in der Nähe. Das Gebäude beginnt zu zittern. Plötzlich wirft uns eine starke Kraft an die Wände des Kellers, das Licht geht aus, der Verputz fällt herunter, man hört Stöhnen und Schreie von Verletzten. Alle geraten in Panik, alle versuchen zum Ausgang zu drängen, der in der Dunkelheit jedoch nicht zu finden ist. Ich weiß nicht, wie ich aus dem Keller herausgekommen bin, ich fand mich wieder auf dem Hof. Ein Teil unseres Gebäudes war zerstört.

Dort wo das Gebäude mit der Küche gestanden hat, sah man die Auswirkungen einer Bombe. Außen herum waren alle Häuser zerstört, aber das interessierte mich im Augenblick nicht. Auf dem Appellplatz waren die Suppenkessel stehengeblieben, ich renne dorthin, indem ich über Berge von Steinen, Brettern und verdrehten Eisenteilen stolpere. Von den Kesseln war nur das Blech geblieben, aber auf dem Erdboden dampften noch die Reste unseres Abendessens. Vom Asphaltboden lese ich die dreckigen und staubübersäten Reste mit den Händen auf und stopfe sie mir in den Mund. Schneller! Mehr! Denn ich bin nicht alleine hier, es werden immer mehr, die sich die Kartoffelstücke aus den Händen reißen. Nach einer Weile bleibt nur noch ein nasser Fleck auf dem Boden zurück. Ich schaue um mich herum und sehe, dass einige Gefangene in panischer Eile zum Gebäude hin rennen. Ach Gott! Natürlich, dort oben war die Vorratskammer für Brot, deshalb rennen die alle so. Ich renne auch dorthin und sehe, dass schon einige mit ein paar Broten zurückkommen. Ich erreiche das Zimmer, es ist dunkel hier, ich taste die Regale ab, sie sind leer. Es gibt nichts mehr! Ich komme zu spät!

Plötzlich berührt mein Fuß etwas, das auf dem Boden liegt, ich hebe es auf - es ist ein Brot! Ein ganzer Laib Brot! Ich taste den Boden ab, es liegt noch eines da. Schnell verstecke ich ein Brot unter dem Hemd, das zweite halte ich in den Händen und verschwinde aus dem Zimmer, denn schon hört man Schritte und Pfiffe der SS-Männer. Unten im Hof fallen einige Häftlinge über mich her und wollen mir das Brot entreißen, ich halte es fest so gut ich kann, ich lasse es mir nicht wegnehmen. Da es aber mehrere sind, reißen sie das Brot einfach auseinander und mir bleibt nur so viel übrig, wie ich in den Fäusten halten kann. Unter dem Hemd habe ich aber noch das ganze Brot. Zufällig treffe ich meinen Onkel, ihm ist es nicht gelungen, etwas zu erobern. Wir verstecken uns in den Ruinen des Hauses und berichten uns, was passiert ist. Wir essen das ganze Brot, ohne auf die Befehle der SS-Männer zu achten, die zum Appell rufen.

Schließlich stellen wir uns in langen Reihen auf, sie zählen und überprüfen die Nummern und durchsuchen die Häftlinge. Weh dem, bei dem sie Nahrungsmittel oder andere Gegenstände, die zufällig ergattert werden konnten, entdecken! Ihm droht eine schwere Strafe, die dann von den SS-Wachleuten ausgeführt wird, wobei sie sich nicht beherrschen und keinerlei Rücksicht nehmen.

Bis zum Morgen müssen wir auf dem Schulhof bleiben, in der Frühe führen sie uns ohne Frühstück in die Fabrik, das Mittagessen bringen sie uns in die Fabrik. Abends nach der Arbeit können wir nicht ins Lager zurückkehren, denn das Schulhaus ist zu sehr zerstört, so führen sie uns in einen Luftschutzbunker aus Beton, dessen Form an einen riesigen Pilz [Bunker in der Sandhofer Straße am Rande des Zellstoff-Geländes] erinnert. Er befindet sich am Rande eines Fabrikgeländes.

In diesem Bunker halten wir uns einige Tage auf, das heißt nur zum Schlafen, denn tagsüber arbeiten wir weiter in der Fabrik. Im Bunker gibt es keinerlei Inneneinrichtung; wir haben auch keine Pritschen oder Decken, sie sind in der Schule geblieben. Hier liegen wir auf dem nackten Betonboden und im Dreck; zum Glück ist es da drin nicht kalt.

Die Fliegerangriffe folgen jetzt immer häufiger aufeinander, sowohl tagsüber als auch in der Nacht, die Produktion in der Fabrik schrumpft, deshalb brauchen sie weniger Arbeitskräfte.

Am 24. Dezember nach Beendigung der Arbeit kommen Zivilisten aus dem Werk und teilen uns in zwei Gruppen auf. Onkel Janek bleibt in der einen Gruppe, und ich muss in die andere. Wir denken, dass sie eine Gruppe von hier weg transportieren. Ich will bei meinem Onkel bleiben, und als ich glaube, dass niemand her schaut, gehe ich schnell zur anderen Gruppe hinüber, in der mein Onkel geblieben ist. Aber ich habe mich getäuscht, meinen Platzwechsel hat der Meister beobachtet, bei dem ich gearbeitet habe; der kam nun zu mir her, zog mich aus der Reihe, schlug mich mit der Faust ins Gesicht und gab mir einen Tritt, dass ich gleich wieder dort war, wo ich vorher gestanden hatte.

So trennten sie uns voneinander; ich wäre gerne bei ihm geblieben, denn er war älter und hatte mehr Erfahrung; zusammen hätten wir es leichter gehabt, diese schrecklichen Qualen zu ertragen. Wir hatten uns gegenseitig geholfen, den letzten Brotkrümel miteinander geteilt ... und nun stehen wir in zwei verschiedenen Gruppen einander gegenüber, verabschieden uns voneinander und wissen nicht, dass es das letzte Mal ist, wo wir uns in unserem Leben sehen.

Die andere Gruppe bringen sie an einen Bahnübergang in der Nähe der Fabrik und sie steigen in bereit gestellte Waggons, in denen sie eingeschlossen drei Tage lang an dem Bahnübergang stehen ohne Essen und Trinken; und uns bringen sie in den Bunker.

Wir bekommen das Abendessen, es gibt doppelte Portionen, denn das Essen war für uns alle vorgesehen, aber es blieb nur die Hälfte der Häftlinge zurück. Heute Abend gibt es Brotsuppe, es ist verfaultes Brot, das gekocht wurde; aber diese Suppe halten wir hier für die beste, denn es ist die einzige, die etwas nährt. Das ist unser Essen am Heiligen Abend.

Die Gedanken schweifen zurück zu den Jahren vor dem Krieg, als dieses Essen anders aussah, der Weihnachtsbaum, die Geschenke, die ganze Familie, der Tisch gedeckt mit besonders guten Gerichten und heute schlucke ich etwas Wasser mit verkochtem, verfaultem Brot, gewürzt mit meinen Tränen, die fließen, als ich mich an die glückliche Zeit der Kindheit erinnere; wie Erbsen fallen sie in die Schüssel. Die übrigen Leidensgenossen empfinden genauso wie ich, keiner redet mit dem anderen, jeder ist in sich versunken und hat einen Kloß im Hals sitzen und weint bittere Tränen.

Heiligabend verbringen wir im Bunker am Fabrikgelände. Zwei Tage lang liegen wir auf dem Beton im Dreck und Staub ohne Tageslicht und ohne Wasser; seit einigen Tagen haben wir uns schon nicht mehr gewaschen, Gott sei dank ist es im Bunker nicht so kalt, denn draußen herrschen schon seit einigen Tagen Minustemperaturen.

Nach den Feiertagen fangen wir wieder zu arbeiten an, und nach der Arbeit führen sie uns nicht mehr in den Bunker, sondern nach Sandhofen in ein Gebäude, das früher von Italienern bewohnt worden war.

Das Gebäude ist kleiner, aber auch unsere Zahl ist um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Hier ist unsere neue Unterkunft, und von hier aus gehen wir nun zur Arbeit und erwarten das Jahr 1945.

An Neujahr müssen wir nicht arbeiten, an diesem Tag veranstalten wir einen Läuseappell, ziehen unsere Lumpen aus und schlagen die Flöhe tot, die uns immer mehr stören, da wir uns an den Tagen, die wir im Bunker verbrachten, nicht waschen konnten. Nach Neujahr fangen wir wieder an, in der Fabrik zu arbeiten, in der immer häufiger Stockungen auftauchen. Entweder es fehlen irgendwelche Teile für die Produktion oder die Fließbänder funktionieren nicht, so dass die Arbeit oft unterbrochen wird. Eines Tages, als das Fließband, an dem ich arbeitete, stehen blieb, mussten wir von einer in die andere Halle Karosserieblech tragen. Wir trugen alles einzeln, und am Weg zur anderen Halle standen zwei SS-Männer als Posten. Als ich in die andere Halle ging, bemerkte ich, dass auf dem Boden zwei Stücke Brotrinde lagen, ich bückte mich, hob sie auf und steckte sie in die Tasche. Das bemerkte jedoch einer der SS-Männer, die auf uns aufpassen mussten, und rief mich zu sich. Es war ein junger Mann aus der "Totenkopf"- Formation. Ich stellte mich vor ihm auf und nahm die Mütze vom Kopf. Er befahl mir, das aus der Tasche herauszuholen, was ich eingesteckt hatte. Ich zog die beiden Brotkrusten aus meiner Tasche und zeigte sie auf der ausgestreckten Hand. In diesem Moment bekomme ich einen Schlag mit der Faust ins Gesicht und falle hin; der SS-Mann schreit, ich solle sofort aufstehen. Er will sich nicht einmal bücken, um mich zu schlagen. Mit Mühe stehe ich auf, und sofort bekomme ich wieder einen Schlag, und wieder liege ich auf dem Boden. Aus meinen aufgeplatzten Lippen fließt Blut, der Kopf schmerzt, und die Augen füllen sich mit Tränen. Der SS-Mann tritt mich noch ein paar Mal mit seinen genagelten Stiefeln, dann sagt er, ich solle wieder arbeiten gehen und zerquetscht das Brot mit einem Stiefeltritt. Ich stehe auf, alles tut weh, ich sehe nur schwarze Flecken, ich spucke zwei Zähne aus, die er mir ausgeschlagen hat, und ich blute aus der Nase. Schwankend stehe ich auf meinen Beinen, und ich weiß, ich muss zur Arbeit, sonst bleibe ich hier für immer liegen. Diese Erkenntnis gibt mir Kraft, ich gehe zurück und trage weiter die Bleche wie die anderen.

Keiner schenkt der Szene Aufmerksamkeit, hier sind wir alle geschlagen, hungrig und verletzt. Wir alle sind zur Vernichtung verurteilt, aber vorher muss aus uns alles noch herausgequetscht werden, was der "großen Sache" wirtschaftlich nutzen könnte.

Einmal kaufte ich einem Häftling, der bei der Verladung von Kartoffeln arbeitete, für gesammelte Zigarettenstummel drei Kartoffeln ab. Ich trage sie einige Tage in meiner Tasche, weil es keine Gelegenheit gab, sie zu braten oder zu kochen. Endlich kam eine Gelegenheit. Wir wurden zur Räumung einer zerstörten Fabrikhalle eingesetzt. Es war sehr kalt, und es blies ein eisiger Wind. Der Wachmann war kein junger Mensch mehr und vielleicht deshalb etwas menschlicher; er schlug uns nie und manchmal unterhielt er sich ein wenig mit uns und tröstete uns mit: "Krieg bald fertig!" Er erlaubte uns, ein kleines Feuer anzuzünden, und wir konnten uns nicht alle auf einmal, aber nacheinander die Hände wärmen. Endlich kann ich meine Kartoffeln braten. Ich trat ans Feuer, legte die Kartoffeln in die Glut, wärmte mich auf und wartete, bis die Kartoffeln endlich gar waren. In dem Augenblick kommt ein anderer SS-Mann, um den bisherigen abzulösen. Als er das Feuer sah, fing er an zu brüllen, zertrat das Feuer und damit auch meine Kartoffeln. So viele Tage hatte ich Zigarettenstummel gesammelt, um aus ihnen Tabak zu gewinnen und davon ein paar Kartoffeln zu tauschen - dieses Ereignis vernichtete in einem Augenblick meine Hoffnung, meinen Hunger wenigstens für eine kurze Zeit stillen zu können. Oh, wie habe ich diesen Mann in dem Moment innerlich verflucht!

Die Fliegerangriffe der Alliierten werden immer häufiger, die Produktion in der Fabrik stockt, weil wir oft zum Aufräumen zerstörter Gebäude gerufen werden. Wenn uns ein Luftalarm bei der Arbeit überrascht, unterbrechen wir die Arbeit und gehen in einen Unterstand, der sich unter der Halle befindet, in der wir arbeiten. In der zweiten Januarhälfte, als wir abends von der Arbeit ins Lager zurückkehren, treffen wir es zerstört an. [Es handelt sich hierbei um die Mädchenschule oder "Alte Schule", Ecke Kriegerstraße/ Zwerchgasse; das Gebäude ist beim Luftangriff am 1.2.45, mittags zerstört worden.] Es war im Laufe des Tages bombardiert worden; die Wachleute wussten das noch nicht, hatten uns trotzdem ins Lager gebracht und wissen jetzt nicht, was sie mit uns machen sollen. Das Gebäude war bis auf den Keller zerstört. Die Ringgänge zu diesem Keller waren durch Schutt versperrt. Sie befehlen uns, den Schutt mit den Händen von den Kellereingängen wegzutragen, wir bekommen keine Schaufeln. Die Arbeit ist anstrengend, aber nach einer Weile legen wir die Eingänge frei und gehen hinunter, um dort zu schlafen. Im Keller ist es eng, stickig und dunkel. Aus den geborstenen Wasserleitungen fließt Wasser, die Wände sind nass; Wasser tropft auch auf uns. Auch der Boden ist nass, und wenn sich einiges Wasser angesammelt hat, schöpfen wir es in Schüsseln und tragen es hinaus. Auf den Boden legen wir Bretter, aber auch die saugen sich nach einiger Zeit mit Wasser voll. Wir sind ganz durchnässt; man kann nirgendwo seine Kleider trocknen, und in diesen Verhältnissen verbringen wir einige Tage. In dieser Situation beschloss die Lagerleitung, das Schulhaus, das unser erstes Lagergebäude war, wieder in einen bewohnbaren Zustand zu bringen.

Während des Morgenappells wurde verkündet, dass sechs Schreiner zur Renovierung des Schulhauses gebraucht wurden. Ich bin zwar kein Schreiner, kann jedoch mit Beil und Säge umgehen, da mein Großvater Schreiner war, und ich melde mich freiwillig, denn das ist immer noch besser, als in der Fabrik zu arbeiten. Sie gründen also ein sog. Tischlerkommando [im Original deutsch], und von diesem Tag an fangen wir unter Aufsicht von zwei SS-Männern an, unser erstes Lager zu renovieren. Außer unserem Tischlerkommando bewachen sie noch ein paar andere Gefangene, die zum Aufräumen von Schutt und Glas eingeteilt sind.

Nachdem wir in die Schule gekommen sind, geben sie uns Sägen, Beil und Nägel; unsere Arbeit besteht darin, mit Brettern die Fenster zuzunageln, deren Fensterrahmen herausgerissen sind und auch die Türen zuzunageln, die zum zerstörten Teil des Hauses führen. Wir geben uns Mühe bei der Arbeit, denn wir wissen, dass wir dafür sorgen sollen, dass unsere Lebensverhältnisse und die unserer Freunde verbessert werden sollen, denn das Leben im italienischen Militärlager (die "Alte Schule") ist unerträglich. Hier werden wir (als Fachleute) auch besser behandelt; wir werden nicht mehr geschlagen und herumkommandiert, und es gibt sogar mehr zu essen.

Nach einigen Tagen ist das Schulhaus einigermaßen wieder so hergestellt, dass der Umzug beginnt. Wir sind ungefähr 400 Mann, denn einige sog. "Muselmänner", das sind diejenigen, die krank und schwach sind, haben sie schon früher abtransportiert, wahrscheinlich nach Vaihingen. Wir werden im Erdgeschoss des Hauses einquartiert. Die Treppen ins obere Stockwerk wurden von unserem "Kommando" versperrt. Auch die Fenster hatten wir mit Brettern zugenagelt, so dass es auf den Gängen und in den Räumen dunkel war. Dies hatte für uns jedoch keine große Bedeutung, denn die Wintertage waren kurz; wir gehen in die Fabrik, während es noch dunkel ist, und wenn wir zurückkommen, ist es wieder dunkel. Nach Ende der Renovierungsarbeiten wurde unser Kommando aufgelöst und wir gingen wieder täglich in die Fabrik arbeiten. Die Tage unserer Gefangenschaft dauern eine Ewigkeit.

Der Monat Februar geht zu Ende; die Tage werden länger, und an sonnigen Tagen kann man sich schon etwas in der Sonne aufwärmen, aber die Nächte sind noch eiskalt. Wir sind hier im Westen Deutschlands, von hier aus ist es nicht mehr weit nach Frankreich. Das Klima ist hier milder als bei uns. Aber dieser Winter ist eine Ausnahme, Temperaturen, die bis -15 Grad reichen, haben die Einheimischen schon seit 50 Jahren nicht mehr erlebt; es muss ausgerechnet uns treffen. [Die tiefsten Temperaturen des Winters sind im Januar 45 am 17. -14 Grad, am 25. -17 Grad, am 28. -14 Grad.]

Seit ein paar Tagen hören wir die immer lauter werdenden Geräusche der Front. Auf diesem Frontabschnitt kommt die Offensive der Alliierten voran. Wir wissen natürlich nichts davon, aber wir beobachten die Nervosität der deutschen Arbeiter in der Fabrik und die der Wachleute. Trotz des näher rückenden Kriegsendes ändern sie ihr Verhalten uns gegenüber nicht; sie sind weiterhin brutal und rücksichtslos uns gegenüber.

Die Evakuierung einiger Abteilungen aus der Fabrik beginnt, die Arbeit stockt immer häufiger und die "Stimme" der Front wird von Tag zu Tag deutlicher. Die Spannung steigt, und das Krachen der Kanonen ist schon ganz deutlich zu hören: Die Front ist schon ganz nah. Vielleicht hilft uns Gott, dass wir schon in kurzer Zeit frei sind, uns satt essen können, dass die Zeit unserer Gefangenschaft zu Ende ist und wir nach Hause zu unseren Angehörigen zurückkehren können. Einerseits hat jeder von uns einen Funken Hoffnung im Herzen, andererseits Angst und Ungewissheit, ob die Befreier uns noch vor der Evakuierung des Lagers befreien können oder ob alle von uns lebend befreit werden; denn auch das beschäftigt uns. Solche Gedanken schüttle ich von mir ab wie eine lästige Fliege, von Tag zu Tag: Nur noch aushalten, denn unsere Befreiung ist nicht mehr weit.

Wahrscheinlich wird man aber noch länger auf diesen Tag warten müssen, noch viele von uns werden diesen Tag, der so nahe scheint, nicht mehr erleben. Es ist der 20. März 1945, seit zwei Tagen gehen wir nicht mehr zur Arbeit; unter den SS-Männern herrschen Nervosität und fieberhafte Aufregung, sie treffen irgendwelche Vorbereitungen. Die Posten um das Lager werden verstärkt. Vom Rhein her hört man schon deutlich die Explosionen von Granaten und das Knattern von Maschinengewehren.

Der 22.3.1945 ist ein verhangener Tag, wie er am Anfang des Frühlings vorkommt, wir gehen zum morgendlichen Appell und stellen uns wie immer in Reihen auf. Der Lagerführer "Faja" [Spitzname des SS-Oberscharführers Christian Ahrens] kommt heraus und wie ein Blitz aus heiterem Himmel kommt der Befehl zur Evakuierung des Lagers auf uns herunter [gegen diese späte Datierung der Lagerräumung sprechen einige andere Informationen]. Wir stehen betäubt und erschrocken da, auf einem Schlag wurde unsere Hoffnung zunichte gemacht. Das, wovor wir große Furcht gehabt haben, ist eingetreten. Oh Gott, wie lange wird es noch weitergehen?

Nach dem Appell befehlen sie uns auf unsere Stuben zurückzugehen, unsere Schüsseln und Decken einzusammeln und uns paarweise wieder auf dem Platz aufzustellen. Nachdem die Kolonne aufgestellt ist, bringen sie uns, eskortiert von den Wachen, auf den Bahnhof, von wo wir in die Fabrik fahren. Auf Wiedersehen - Mannheim- Schulhaus, wir wissen, dass wir von hier für immer wegfahren.

Auf dem Bahnhof stehen schon Güterwägen, sie laden uns jeweils zu 40 Leuten in einen Wagen und verschließen die Türen. Den letzten Wagen besetzen die SS-Männer und weitere Posten besetzen Plätze zwischen den einzelnen Wagen.